Uraufführung von Jean-Paul Maes‘ „Vollmondbetrachtungen“

Was ist normal?

Was ist normal? Ein Sportlehrer, dessen Welt nur in Ordnung ist, wenn er sie mit der Trillerpfeife in Reih und Glied halten kann? Eine Direktorin, die sich die Realität des Verlassenseins nur mit der notwendigen Portion Alkohol erträglich machen kann? Ein Sohn, der zwischen abwesendem Vater und zurückgelassener Mutter zu ersticken droht? Oder ein Mann, der sich als Frau fühlt? Eine Antwort auf diese Frage gibt es am Ende von Jean-Paul Maes‘ neuem Stück „Vollmondbetrachtungen“, das derzeit im Bettemburger Schloss (ur)aufgeführt wird, nicht – und das ist auch gut so. Im Gegenzug dazu gibt es aber das, was richtiges Theater ausmacht: Fragen und Denkanstöße geben, die aufzeigen, dass man unterm Strich ist, was man entscheidet zu sein.

Bekanntlich besteht der menschliche Körper aus rund 70 Prozent Wasser – so zumindest erklären viele den Einfluss des Mondes auf die Gemütszustände so mancher Mitmenschen. Auch in Jean-Paul Maes‘ Stück, lebt im Mond der sprichwörtliche „Mann“, doch er fühlt sich als Frau und steht so stellvertretend für die Einsamkeit aller „Andersartigen“, die Maes‘ Stück bevölkern – die verlassene Ehefrau, der ordnungssüchtige Sportlehrer und der rebellische Sohn.

Deutschlehrer Cornelius sitzt nachts als „Conny“ auf der Bank und vertraut dem Mond seine geheimsten Sehnsüchte an. Auf Verständnis kann er mit seiner unnatürlichen „Neigung“ bei Kollege Meyer nicht stoßen. Denn dessen Welt ist nur fein säuberlich eingereiht in Ordnung. Und dann sind da noch die Frau Direktorin und ihr Sohn, die von Mann und Vater verlassen wurden und seitdem nicht wirklich mehr miteinander können. Als sich ihre Wege kreuzen, entstehen unwahrscheinliche Freundschaften und Beziehungen, an denen alle Beteiligten wachsen. Als Stück über „das Zusammenleben und die Anerkennung des anderen“, über „wahre Nächstenliebe und wirkliche Wahrheit“, über „die Liebe, in welcher Form auch immer“ thematisieren die „Vollmondbetrachtungen“ über die Transsexualität hinaus das menschliche Mit- und Gegeneinander.

Psychologisch, auch formal arbeitet Maes‘ Text seine Charaktere mit viel Feingefühl und Empathie heraus. So spricht der Sport-
lehrer Meyer eine zerhackte Sprache, in deren Satzbau das „ich“ keinen wirklichen Platz hat. Es ist diese tief empfundene Menschlichkeit, die „Vollmondbetrachtungen“ zu einem wahren Dialog macht.

Klaus Dieter Köhlers Inszenierung greift – passend zu den „Betrachtungen“ – auf eine nüchterne gemäldeartige Abfolge zurück, bei der musikalische Intermezzo zwischen den jeweiligen Episoden eine zuweilen eher versteifende, denn anknüpfende Wirkung aufzeigen. Jean-Paul Maes überzeugt in der schwierigen Gratwanderung, welche die Rolle des „Cornelius/Conny“ darstellt, durch eine beeindruckende Differenziertheit und „überspielt“ zu keinem Moment. Während Irmtraut Hetz und Neven Nöthig schlüssig die Direktorin und den Sportlehrer geben, zeigt der junge Timo Wagner vielversprechende Ansätze. Fordernd und sehenswert!

Luxemburger Wort
Samstag, den 1. Februar 2014
KULTUR 13
Foto: Kaleidoskop Theater
Text: Vesna Andonovic

 

Niemandsland zwischen Mann und Frau

Transsexuellendrama „Vollmondbetrachtungen“ im Schloss Bettemburg

Wie mag es sein, wenn man sich in seinem Körper fehl am Platz fühlt? Wenn man äußerlich ein Mann ist und sich doch als Frau empfindet? Der Luxemburger Schauspieler und Autor Jean-Paul Maes widmet dem Irrlauf zwischen den Geschlechtern mit „Vollmondbetrachtungen“ ein eigenes Stück.

In Luxemburg kann man gar nicht so schnell hinschauen, wie neue Theaterspielstätten eröffnet werden. Eine der schönsten befindet sich im Schloss Bettemburg (nahe Esch/Alzette), wo die Theatergruppe Kaleidoskop eine Heimat gefunden hat. Das fast 300 Jahre alte Anwesen beherbergt die Stadtverwaltung und einen stimmungsvollen Theatersaal.

„Kaleidoskop“ gruppiert sich um Jean-Paul Maes. Urgestein der Luxemburger Theaterszene und aus der Ära Kindermann auch als Gast in Trier („Hexenjagd“, „Romeo und Julia“) in bester Erinnerung. Seit den Zeiten um die Jahrtausendwende besteht die freundschaftliche Verbindung zum damaligen Trierer Schauspielchef KD Köhler, den Maes nun als Regisseur für sein neues Stück „Vollmondbetrachtungen“ engagiert hat.

Es geht um Cornelius, einen Deutschlehrer, der in milden Nächten Frauenkleider anzieht und auf Parkbänken den Vollmond betrachtet. Kein Transvestit, der sich aus Spaß verkleidet, sondern ein Transsexueller der im (falschen) Männerkörper gefangen ist und sich nach einer Geschlechtsumwandlung sehnt.

Jean-Paul Maes spielt das außerordentlich anrührend, einfühlsam und ohne jeden Anflug von Tuntigkeit. Eine Nachtgestalt, melancholisch, bisweilen verzweifelt. „Warum muss Gott seine Laune ausgerechnet an mir auslassen?“, fragt Cornelius, der Außenseiter. Einerseits verunsichert von der Verständnislosigkeit seiner Umwelt, andererseits aber unbeirrbar in der Entscheidung, seinen Weg weiterzugehen.

Er freundet sich mit einem anderen Außenseiter an, dem jungen Andreas (Timo Wagner), der gerade die Schule geschmissen hat und seinen Platz in der Welt noch sucht. Der Lehrer und der Unbelehrbare, der Verlorene und der Verlierer: Da entsteht überraschenderweise eine zarte, anfangs von Misstrauen geprägte Notgemeinschaft.
Das hätte spannend werden können, aber der Autor Maes kann mit dem Darsteller Maes nicht recht mithalten. Die Nebenfiguren geraten arg holzschnittartig, die Sprache ist oft klischeehaft und papieren. Andreas‘ Sprachschatz spielt sich zwischen „Weiß nicht“ und „Fuck“ ab, der Sportlehrer Meyer (Neven Nöthig), der Cornelius „enttarnt“, kommt als reaktionäre Zack-zack-Knallcharge im Stil der 70er-Jahre-Paukerfilme daher. Die Schuldirektorin (Irmtraut Hetz), zufälligerweise auch Andreas‘ Mutter, ist eine versoffene Nullcheckerin. Alles ziemliche Pappkamerad(inn)en. Zu wenig für dieses Thema.

Klaus-Dieter Köhlers Regie sorgt dafür, dass der Abend nicht lahmt, und er schafft Momente, die haften bleiben. Er verknüpft gekonnt den Titel des Stückes mit Musik, von Dvoraks „Lied an den Mond“ aus „Rusalka“ bis zum „Blue Moon“ des Musical-Komponisten Richard Rodgers.
DiL

Quelle:
Trierischer Volksfreund, 12.02.2014, S. 14