• wita/Martin Fromme

„Der Bürger“ als Textcollage von und mit Halvor Boller auf der kleinen Bühne des „Kartenhausensembles“

Von Beke Heeren-Pradt

HOHENSTEIN – „Ich heiße soundso, bin daundda geboren, soundso alt… ich bin ein stilles, nettes Mitglied der menschlichen Gesellschaft.“ So stellt er sich vor, „Der Bürger“, der in der Textcollage des Schauspielers Halvor Boller auf der Probebühne des „Kartenhausensembles“ in Strinz-Margarethä eine Stunde lang sein Innerstes nach außen kehrt – und doch als Person, als Mensch, nicht fassbar wird.

Es sind die mitunter kryptischen Texte von Robert Walser (1878 bis 1956), die sich Halvor Boller für sein Ein-Mann-Stück vorgenommen und es daraus zusammengestellt hat. Der deutsch-schweizerische Schriftsteller, dessen Werk in keinerlei literaturgeschichtliche Kategorie einzuordnen ist, hat neben einigen veröffentlichten Romanen ungezählte Textminiaturen, Feuilletons und Prosastücke geschrieben, deren sprachliche Form in ihrer Zeit äußerst modern war und deren Personal „der kleine Mann“, der „Angestellte“, der Mitarbeiter ist. Walser hat damit eine neue eigene literarische Gattung geschaffen, die den Hintergrund bildet, vor dem Halvor Boller sein Textcollagen-Stück entwickelt hat.

„Ein guter Bürger denkt nicht viel“, heißt es mehrfach im Text. „Scharfes Denken liegt mir gänzlich fern, deswegen bin ich ein guter Bürger“, spricht der Namenlose, der sich „als weiche Seele mit den Härten der Welt im Kampf“ sieht.

Und genau das schafft Boller, in der famosen Inszenierung von Klaus-Dieter Köhler nur zu eindrücklich auf die Bühne zu bringen. Das Leben ist ein Kampf – mit den Härten der Welt, aber vor allem mit sich selbst. Mit vollem Körpereinsatz bespielt Halvor Boller den gesamten (kleinen) Bühnenraum mit seiner intelligenten Ausstattung: ein Tisch, ein Stuhl, ein Stehpult und ein sowohl als Ablage als auch als „Bühne auf der Bühne“ genutztes Brett zwischen zwei Leitern. Der Kampf zwischen der Selbstzufriedenheit, die sich als Schein erweist, und der Herausforderung durch das Leben wird auf allen Möbelstücken und mit allen Requisiten geführt.

Der „Bürger“ ist ständig zerrissen zwischen der Gegensätzlichkeit des Daseins, zwischen Leidenschaft und Gleichmut, zwischen Kindlichkeit und Erwachsensein, zwischen Zähigkeit und Nervosität, zwischen Freiheit und Furcht. „Alles erinnert stets an sein Gegenteil“, heißt es im Text und das ist die Spannung, in der sich der Namenlose befindet, der da mit sich und seinem Dasein ringt.

Die kleine Bühne des „Kartenhausensembles“ im Garten von Halvor Bollers Wohnhaus in Strinz-Margarethä, durch deren Holzwände während der Vorstellung das abendliche Vogelgezwitscher aus den benachbarten Gärten zu hören ist, ermöglicht ein intensives Theatererlebnis. Das Publikum sitzt zwar im Zuschauerraum vor der Bühne. Dennoch ist es so nah dran am Geschehen, dass es mit einbezogen wird in den Kampf des Namenlosen mit seiner Existenz in einer als tatenlos wahrgenommenen Welt, mit der er nicht klarkommt, weil er sich scharfes Denken untersagt, sich seinen „Schrullen“ hingibt und vor lauter Selbstbespiegelung andere um sich herum aus dem Blick verliert: „Menschen wollen nichts miteinander zu tun haben.“

Das Strinzer Publikum jedoch, das vor und nach der Vorstellung in reger Unterhaltung ist, gemeinsam ein Glas Wein genießt und das intensive Schauspielerlebnis auf der ganz besonderen Bühne Revue passieren lässt, straft Robert Walser in diesem Punkt Lügen…

 


„Der Bürger“ ist eingeladen nach Klagenfurt zum MONO BENE Festival,
Aufführungen jeweils am 18., 19. und 20. Oktober 2017

Weitere Vorstellungen ab November im Kulturpalast Wiesbaden

 

Quelle: www.wiesbadener-kurier.de
Foto: wita/Martin Fromme