• Klaus-Dieter Köhler (Kade) Wir sind die Neuen Kritik

Wiederaufnahme im September 2018

Würtembergische Landesbühne Esslingen

nach dem Film von Ralf Westhoff
Theaterfassung von Jürgen Poppig

 


Kritik

Jugend am Rande des Nervenzusammenbruchs

Klaus-Dieter Köhler inszeniert „Wir sind die Neuen“ nach Ralf Westhoffs Kinokomödie an an der Esslinger Landesbühne.

ESSLINGEN Die machen keine Kehrwoche, weil sie „kein sauberes Treppenhaus“ putzen wollen. Sie füttern ihre dröhnende HiFi-Anlage mit David Bowies „Heroes“ und poltern ungeniert durchs Haus, wenn sie von der nächtlichen Kneipentour heimkommen. Die Rede ist vom Trio infernale Anne, Eddi und Johannes: lebenslustige Single-Rentner, die nach 30 Jahren ihre alten WG-Zeiten wieder aufleben lassen wollen: weil’s „lustiger“ ist und „billiger“. Aber ihre Anwesenheit macht der jungen, dynamischen und pflichtbewussten Studenten-WG im Stock über ihnen das Leben zur Hölle. Die hatten „mit ruhigeren Nachbarn gerechnet“ in dieser „total sensiblen Zeit“ bevorstehender Prüfungen. Jugend am Rande des Nervenzusammenbruchs!

An der Esslinger Landesbühne (WLB) hatte jetzt im Podium I „Wir sind die Neuen“ Premiere, ein Stück nach Ralf Westhoffs gleichnamiger Kinokomödie von 2014 in einer Bühnenfassung von Jürgen Popig, die Regisseur Klaus-Dieter Köhler in Szene gesetzt hat. Die Idee vom komödiantischen Clash der Generationen, wo sich alle Klischees umdrehen, ist wirklich gut und durch die pointenreichen Dialoge durchaus geeigneter Stoff für die Bühne.

Alle Klischees? Nein, Wählscheibentelefon und LPs gegen Smartphone, Spotify und Laptop bleiben altersgerecht zugeordnet. Aber das machen die Jungen den Alten gleich klar: Helfen – „mal was Schweres tragen, mal was aus der Apotheke holen, mal was im Handymenü erklären“ – is’ nicht! Dafür haben die Studis keine Kapazitäten frei. Und Feiern is’ auch nicht: Um die Alten daran zu hindern, wird mit Besenstielen auf den Boden gehämmert. Dumm nur, dass die burnout-gefährdeten Spießer selbst bald Hilfe brauchen – und die friedfertigen Ex-Langzeitstudenten nun den Jungen unter die Arme greifen müssen.

Der sozial engagierte, dadurch in der Altersarmut gelandete Rechtsanwalt Johannes (Lothar Bobbe) hilft der Jura-Studentin Katharina (Barbara Dussler), die ansonsten Dominanz verstrahlt und zu cholerischen Ausbrüchen neigt, in den Wust der Gesetzestexte Ordnung hineinzubekommen. Der melancholische Ex-Frauenheld Eddi (Achim Hall) gibt der Heulsuse und Kunstgeschichtsstudentin Barbara (Sofie Alice Miller) Tipps in Sachen Liebeskummer, nachdem die sich wimmernd mit ihrem Stoffhasen unter ihrer Bettdecke verkrochen hat. Und die hyperschlagfertige Schleiereulen-Aktivistin Anne (Gesine Hannemann) zeigt dem rückenlahmen Jurastudenten Thorsten (Felix Jeiter) zwecks Heilung Yogaübungen und kauft im Supermarkt ein. So kommt man sich mehr und mehr näher bis zur finalen gemeinsamen Party, und die gestressten Jungspießer werden lockerer, während die Old-School-Rentner vom digitalen Know-How profitieren: Johannes zumindest beginnt eine Internetkarriere als Rechte-Erklärer.

Der Abend ist solide gespielt – alle Sechse könnten in den nächsten Aufführungen aber noch ein bisschen aufdrehen. Für die beengte Bühne des Podiums hat sich Ausstatterin Susanne Kudielka eine Notlösung ausgedacht: ein großes, graues Sofa, das fast die ganze Bühnenbreite ausfüllt. Freilich will der Mehrsitzer nicht so recht zum Interieur der ansonsten auf Sperrmüll-Charme setzenden Alt-68er passen. Links werden die WG-Szenen der Jungen gespielt, rechts die der Alten. Über die Lifttür dahinter werden die Etagenwechsel im Haus angedeutet. Auch wenn man sich gelegentlich im Weg steht: Gut gelingen die schnellen Szenenwechsel, die zudem durch flotte Hits von Anno dazumal und von heute gewürzt werden.

Auch wenn die Sympathie des Autors etwas zu deutlich auf Seiten des Rentner-Trios liegt: Der Abend unterhält durch seine witzigen Pointen. Und die machen auch die wortgewandten Alten gelegentlich mal mundtot, etwa wenn Thorsten kontert: „Wenn ihr früher ein bisschen flotter gewesen wäret, müssten wir jetzt nicht über Studiengebühren diskutieren.“

Die nächsten Vorstellungen: 28. März, 14. und 29. April, 9. und 20. Mai 2018.

 

Fotos: Björn Klein
Quelle: esslinger Zeitung

 


 

Wählscheibe und Laptop finden zusammen

Theaterring: Württembergische Landesbühne Esslingen kann mit „Wir sind die Neuen“ nicht so ganz überzeugen

Von Ansgar König

AALEN. Auf Einladung des Theater­rings Aalen ist am Montagabend die Württembergische Landesbühne Esslingen mit der Bühnenfassung von Ralf Westhoffs „Wir sind die Neuen“ in der Stadthalle zu Gast ge­wesen. Kurzum: Die Inszenierung von Klaus-Dieter Köhler war amü­sant aufbereitet, die ganz großen La­cher blieben allerdings aus. Zum Inhalt: Anne (Gesine Hanne­mann), Eddi (Achim Hall) und Jo­hannes (Lothar Bobbe), die sich vor 30 Jahren schon die Studentenbude geteilt hatten, gründen wieder eine WG und wollen „zurück nach da­mals“. Sie treffen auf Katharina (Barbara Dussler), Barbara (Sofie Alice Miller) und Thorsten (Felix Jeiter), drei aktuelle Studenten, die sich eine Wohnung im Stock darüber teilen – alle drei mitten in der „Lern- und Prüfungsphase“. Zwei scheinbar un­versöhnliche Welten prallen aufei­nander: Oben, bei den Jungen, geht’s um Karriere, Kreuzweh und Kapazi­täten, unten, bei den Alten, um Rot­wein. Revolte und Rock’n’Roll. WLAN gegen Vinyl, Rotwein gegen Energy-Drink. Clash der Generatio­nen, mal umgekehrt.

Konfliktpotenzial gibt es genügend

Welche der beiden WGs ist spießi­ger? Klar: die Jungen. Es knistert schon beim ersten Kennenlernen. Kehrwoche, Hydrant zugeparkt, lau­te Musik – Konfliktpotenzial gibt es genügend. ,,Wir sind die Ablösung“, sagt Barbara .,Die brauchen einen Schnellkurs im Weniger-Arschloch­-Sein“, sagt Eddi. Generationenüber­greifender Dialog sieht anders aus. Schließlich finden die Generation Wahlscheibentelefon und die Generation Laptop doch noch zusammen. Eddi hilft Barbara (Liebeskummer), Johannes hilft Katharina (Prüfungs­stress) und Anne hilft Thorsten (Kreuzweh). Und am Ende feiern – wie bei Asterix und Obelix – alle ein großes Fest. So richtig zünden will das Spiel mit den umgekehrten Vorzeichen, den verdrehten Klischees aber nicht. Zwar sind die sechs Charaktere ganz hervorragend besetzt, vor allem die drei Senioren wissen zu gefallen, aber die ganz großen Schenkelklop­fer bleiben aus. Köhlers Inszenie­rung ist von der eingespielten Musik bestimmt: Der Einzug der Älteren zu Beginn wird von Jethro Tulls „Locomotive Breath“ untermalt, während bei den Studenten, den „Lerndeppen“ (Anne), natürlich Ed Sheeran oder Katie Perry laufen. Beim Fest findet man schließlich mit „Nights in White Satin“ von Moody Blues doch noch zusammen.

Vor allem Gesine Hannemann als quirlige Seniorin Anne und Barbara Dussler als zickige Studentin Katharina überzeugen vor dem einfachen (Sofa, Vorhang, Tür), aber raffiniert wandelbaren Bühnenbild. Und zum Schluss darf man Johan­nes‘ verärgertem Zitat „Wenn die alle so sind, krieg‘ ich Angst um meine Rente“ widersprechen: Wird schon werden.

Quelle: Aalener Nachrichten vom 16.01.2019

 


 

Theaterring Aalen: Gastspiel der Württembergischen Landesbühne

Von alten Kommunarden und jungen Wohngemeinschaftlern

„Ihr habt doch die Pausentaste schon vor 30 Jahren gedrückt“, bekommen die Neuen zu hören und „Ihr seid doch eine Tattergreis WG!“. So haben sich Anne, Eddi und Johannes ihre neue Freiheit nicht vorgestellt. Fünf Jahrzehnte nach 68 wollen sie alles nochmals von vorne ablaufen lassen. Die alten WG-Zeiten, das hippe Kommunardenleben, die Musik. Und Supertramp sowieso. Denn das ist Lebensgefühl! Authentisches. Da darf selbst Rex Gildos „Fiesta, Fiesta Mexicana“ nicht fehlen, dieser Ausbund an Jungbrunnen, der Alltag und Sorgen schnell vergessen lässt. Statt Tequilaspricht das Alters-Trio allerdings dem Rotwein zu. Zumal die neue Wohnung vieles ermöglicht, was bisher nicht denkbar war.

Vor Lebenslust scheinen die Drei tatsächlich nur so zu sprühen: Singen, Tanzen, über Gott und die Welt schwatzen. Warum nicht die Nachbarn von nebenan miteinbeziehen?

Immerhin auch eine WG. Studenten. Ganz wie früher, denken sich die Alten. Doch hier irren sie sich gewaltig, denn nebenan sitzen eben keine gleichgesinnten Klone flippiger Alt-68. Lebenslustig sind sie durchaus, die da so laut und ungestüm auf die Bühne kommen und unvermittelt vor dem strebsam lernenden Studententrio stehen. Der Zufall wollte es, dass beide WGs Tür an Tür liegen, mit all den klischeebeladenen Vor- und Nachteilen. Vermutet werden darf, dass Letztere überwiegen. Die einen, die älteren Semester kosten ihr letztes Lebensdrittel so richtig aus, die anderen suchen klösterliche Stille, um bis in die Nacht zu büffeln, da nur so die raren Jobs für ein gutes Leben zu erreichen sind.

Katharina, Barbara und Thorsten sitzen auf dem Sofa, Laptop auf den Knien. Alle stehen vor dem Examen, entsprechend wird gearbeitet. Jede Störung gleicht einer kleinen Katastrophe. Die Rockmusik der Neuen von nebenan sowieso. Wen wundert es, dass man sich gegenseitig schnell auf die Nerven geht, über Lärmbelästigung und mangelnde Sauberkeit im Treppenhaus klagt, sich über die ansonsten üblichen Kleinigkeiten streitet.

Regisseur Klaus-Dieter Köhler betont auch solch brenzlige Situation musikalisch, hier mit dem „Trio“-Schlager „Da Da Da – ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht“. Da liegt Udo Jürgens mit seinen ausgeflippten Alten („Mit 66 Jahren“) nicht weit, nur dass solcherart gepolte Zeitgenossen eben nicht mehr in den heutigen Neoliberalismus passen, der vom Nachwuchs Egoismus und Strebsamkeit verlangt. Nicht nach anderen oder gar nach dem eigenen Wohlleben schauen, sondern an Karriere denken. Bei Autor Westhoff erscheint dies nur auf den ersten Blick als Inbegriff des spießigen Kleinbürgertums, darf doch nicht vergessen werden, dass generationenmäßig die ehrgeizigen Studenten die Enkel der umtriebigen Alt-Kommunarden sein könnten. Entsprechend lebensnah kommt dieses komödiantischen Spiel über das Zusammenleben mehrerer Generationen daher, wobei unterschwellig all die unvermeidlichen Widersprüche hervorblitzen, in der Bühnenfassung letztlich aber unter dem Teppich bleiben.

Lohnenswert übrigens ein Blick auf die Kulisse, kommt doch diese höchst minimalistisch daher. Ein übergroßes Sofa steht für die beiden WG-Welten. Die Protagonisten laufen drumherum, sitzen mal in dieser, mal in jener Ecke und dennoch weiß man immer, wer gerade wo und in welcher die Wohnung ist. Phantasie an die Macht – in diesem konservativ progressivem Alltag bewahrheitet sich der alte Spontispruch, auch weil er in Köhlers Inszenierung so schön funktioniert. Was nicht zuletzt an den Schauspielern liegt. Gesine Hannemann gefällt als Anne mit ihrer Spontaneität, Lothar Bobbe als Johannes, einst Rechtsanwalt für Arme, jetzt kümmert er sich um die überforderte Jura-Studentin, und schließlich Achim Hall, als Eddi, zuständig für Lebenshilfe.

Im Vergleich zu den Dreien bleiben die Charaktere der Jungen (Barbara Dussler, Sofie Alice Miller, Felix Jeiter) etwas blass. Mehr Fülle wäre allerdings nur mit der Kritik an den Lebensumständen junger Menschen möglich gewesen. Nur en passant werden Themen wie steigende Mieten, zu niedrige Renten angerissen. Mehr wollte Jürgen Popig (Bühnenfassung) nicht in dieser doch luftigen wie unbeschwerten Komödie haben. Dafür beweist er ein feines Gespür für komische, aber zugleich authentische wirkende Situationen, für den unfreiwillig humorigen Tonfall, der die komischen Absurditäten menschlichen Zusammenlebens offenbart und zugleich Glaubwürdigkeit verleiht. Das macht das Stück und seine Protagonisten so sympathisch.

Quelle: Aalener Kulturjournal

 


 

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