Männer-Gerangel um Kunst und Gefühl

Drei Herren und ein Bild: Premiere der Komödie „Kunst“ von Yasmina Reza der Städtischen Bühne Lahnstein im Nassau-Sporkenburger Hof begeistert

Ein Schauspieler stolpert durch die Publikumsreihen, ein anderer vergisst seinen Text, ein Handy klingelt – all das stört gar nicht, denn es gehört zur Inszenierung der Komödie »Kunst“. Und zum ersten Mal fügt sich selbst der draußen vorbeirauschende Güterzug butterweich in den Theaterabend.

LAHNSTEIN. Es ist vielleicht nicht Liebe auf den ersten Blick, was das Publikum bei der Premiere der Komödie „Kunst“ von Yasmina Reza auf der Städtischen Bühne Lahnstein im Nassau-Sporkenburger Hof empfindet. Überrascht durch die Schauspieler, die den Zuschauer jovial ins Vertrauen ziehen. Irritiert durch Texthänger und Handyklingeln (die zur Inszenierung gehören). Irritiert auch durch die Musikfetzen, die scheinbar unsortiert durch das kleine Theater knallen. So harrt das Publikum staunend der Dinge, die noch kommen.
Die Geschichte rankt sich um ein Bild, das der Dermatologe Serge (Rocco Hauff) für dralle 200.000 Euro gekauft hat. Das Bild ist nahezu weiß. Serges Freund Marc (Sascha Stegner) kann es nicht fassen, dass sein langjähriger Freund für diese „weiße Scheiße“ ein kleines Vermögen ausgegeben hat. Und Serge wiederum fühlt sich gehörig in seiner Ehre verletzt, dass sein Freund derart herablassend urteilt.
Das Bild wird zum Auslöser eines wortstarken und emotionsgeladenen Männergerangels, bei dem es weniger um Kunst als um auseinander driftende Weltvorstellungen und vor allem um die zerbrechende Freundschaft geht. Dritter im Bunde ist der gar nicht intellektuelle Yvan (Karl Krämer), der seinerseits mit höchst weltlichen Problemen zu kämpfen hat: Er plant seine Hochzeit und verzweifelt an den keifenden Verlobten, Stief- und Schwiegermüttern. Sein Versuch, die Freunde zu versöhnen, geht gehörig nach hinten los.
Wie exzellent spielen diese Darsteller, wie herrlich vermögen sie zu hassen, wie fesselnd sind diese Tiraden. Massig Text haben sie zu bewältigen, viel Passion stecken sie in ihre Rollen. Es ist ein ständiges Ausbrechen und Zurücknehmen von Emotionen. Rocco Hauff und Sascha Stegner arbeiten dabei als Upper-Class-Streithammel feinste Nuancen des Gefühlswirrwarrs heraus. Mal süß-süffisant, mal eiskalt teilen sie aus, stecken sie ein, prügeln sich schließlich sogar.
Leidtragender ist sowohl in den verbalen als auch in den handgreiflichen Auseinandersetzungen der Schlichter Yvan, der zunächst als Fähnchen im Wind keinen seiner Freunde vor den Kopf stoßen will und schließlich in einem donnernden Wutausbruch seinem Frust Luft macht. Karl Krämer – in seinen Rollen bislang eher als Blödelheintje bekannt – wächst mit der Darstellung dieser Figur wahrlich über sich hinaus. Ohne an Komik einzubüßen. Bravissimo. Subtil ist die Inszenierung des Regisseurs Klaus-Dieter Köhler. Was zu Beginn irritierte, fügt sich schließlich zu einem eigenen kleinen Kunstwerk zusammen: Köhler platziert die Gefechte zwischen Kraftausdrücke und gepflegte Sprache, zwischen Madonnas Popmusik und Wagner-Opern, zwischen Seneca und Rick Master-Comics und schließlich zwischen die Idee von Kunst und Kunstgewerbe. Und die Rechnung geht tatsächlich auf: Unter dem Strich steht eine Komödie. Eine Bildungsbürgersatire mit Woody-Allen-Qualitäten. Das Premierenpublikum ist in hohem Maße angetan. Und so ist es am Ende der Vorführung doch noch eine Art Liebe.

Zum Foto: Der Pillen schluckende Wagnerianer Marc (Sascha Stegner, links) hat keinen Sinn für moderne Kunst und vertiert den Draht zu seinem Freund Serge (Rocco Hauff, rechts), der die „Vibration der Monochromie“ in seinem weißen „Antrlos“ zu spüren vermag. Dazwischen steht, sitzt oder liegt Yvan, der „hybride Speichellecker ohne eigene Meinung** (Kart Krimer). Kurze Eintracht zwischen den Streithammeln herrscht bei der Erkenntnis: .Die Frauen sind alle verrückt“

Bild und Text: Michaela Cetto
Quelle: Rhein-Lahn-Zeitung, Oktober 2008