• Klaus-Dieter Köhler, Theaterregisseur Wiesbaden

Eine schwarze Komödie im grünen Rock

von Susanne Hinkelbein

Württembegische Landesbühne Esslingen / Kabarett der Galgenstricke
September 2019

 


Kritik

Sauberer Blattschuss

WLB und Galgenstricke spielen Susanne Hinkelbeins „Waidmannsheil!“ als saukomisches und bitterböses Jagdstück

Von Gaby Weiß

Die sich da gemütlich auf dem Hochsitz über Tannenwipfeln eingerichtet haben – zünftig im grünen Rock mit rot-weiß-kariertem Hemd und Gamsbart am Hut – sind Gustav und Rudolf. Sie sitzen mit Blick auf die Lichtung, wo jedoch keine kapitale Wildsau wühlt, sondern das Publikum neugierig Platz genommen hat. Da fällt ein Schuss, der nicht der einzige bleiben wird in dieser Koproduktion der Esslinger Landesbühne (WLB) mit den Galgenstricken Herbert Häfele und Erich Koslowski. Die beiden Kabarettisten geben als Gustav und Rudolf die beiden Jäger in Susanne Hinkelbeins bitterböser, schwarzhumoriger Farce „Waidmannsheill“, die als harmloser ]ägerschwank beginnt und sich zur makabren Tragödie wandelt. Worauf das groß klaffende Einschussloch samt Schmauchspuren im satten Grün des Bühnenhintergrunds schon vorausdeutet.

„Nur Jäger und Gejagter“

Wichtiger, als Schwarzwild zur Strecke zu bringen, scheint den beiden auf ihrem Jägersitz das Reden zu sein: In breitem Schwäbisch kommen sie vom Hölzchen aufs Stöckchen. Da wird Banales und Floskelhaftes einfach so daher geschwätzt. Da werden Dorftratsch und Stammtischparolen kommentiert, da wird über Mechthilds Kirschbaum, die Schulnoten des Nachbarbuben und Rosis vergebliche Suche nach einem Mann fürs Leben gelästert. „Und der Fritz ist auch schon tot.“ Da wird über Steine, Bäume und die Natur sinniert. „Wo gehen Läuse hin im Winter?“ Neben all den Plattitüden versteigen sich Rudolf (Erich Koslowski) und Gustav (Herbert Häfele) auch in Tiefgründiges, fast Philosophisches: vorschnelle Urteile, frei herumfliegende Gedanken, Moral und Anstand, Gefühle und Ängste. „Da draußen bist du nur Jäger und Gejagter.“ Und da weder Wildsau noch Fuchs oder Has‘ sich zeigen, sorgen die beiden, die sich auf ihrem Ansitz unbeobachtet fühlen, selbst für Dramatik und steigern sich in mordlustige Fantasien hinein: „Man könnte ja prophylaktisch einfach mal in den anderen Hochstand hineinschießen?“ Gustav zitiert ]ägertugenden: „Ein gewisser Abschuss dient der Hege.“ Gnade der Hochzeitsgesellschaft, die den beiden Voyeuren vor die Flinte kommt. Ein totes Eichhörnchen hingegen lässt den beiden Mannen die Stimme brechen.

Das ist absurd, skurril und trotzdem — um im Bild zu bleiben — zum Schießen komisch, wie Häfele und Koslowski mit großer Lust diesen knapp zwei Quadratmeter großen ]ägerstand bespielen. In der Regie von Klaus-Dieter Köhler (Bühnenbild und Kostüme: Birgit Eder) kommt das Komödiantische nicht zu kurz, wenn Rudolf mühsam die Leiter erklimmt, wenn sich Gustav auf der hölzernen Bank breit macht oder wenn sich die beiden das einzige Fernglas teilen. Hübsche Anspielungen auf den Wellness-Trend Waldbaden oder die Leistungen des VfB aktualisieren das preisgekrönte Stück von 2004, das fein beobachtete Szenen wie in einer musikalischen Partitur aneinanderfügt.

Da rascheln die Blätter, da säuselt der Wind, da zwitschern die Vögel, da grunzt das Wildschwein. Das gemeinsame Anlegen, Zielen, Entsichern und Abstellen der Gewehre ist perfekt durchchoreografiert. Zwischendurch singen Rudolf und Gustav auch, von Waldeslust und munterem Schall — mal aus purem Spaß, mal gegen die Angst, wenn sie sich schunkelnd in Sicherheit wiegen: „Gar lustig ist die Jägerei.“ In köstlicher Wiederholungsschleife gibt’s eine Sequenz mit ganz viel „ällemol“ und „älleweil“ und einem exklamatorischen „Ha wa!“ mit vollem Mund beim Landjäger-Kauen. Susanne Hinkelbeins rhythmische und musikalische Sprache ist ein echter Genuss und macht nicht nur den beiden Schauspielern, sondern auch dem Publikum Spaß: Dubidu, trara und la- Iala, bevor Rudolf und Gustav ein Halali zum Ende der Jagd blasen. Diese Inszenierung ist ein Volltreffer, ein veritabler Blattschuss. Vor allem, weil über dem urkomischen Gerede der beiden immer das vermeintlich so unschuldig daherkommende und in populistischen Kreisen so beliebte „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“ schwebt. Und weil das Stück sich satirisch damit auseinandersetzt, ob man, beim Heiligen Hubertus, jeden Gedanken auch zu Ende denken darf. Auch wenn dieses Ende kaltblütig, unmenschlich und tödlich ist.

Die nächsten Vorstellungen: 21., 27. und 28. September sowie 26. Oktober im Keller der Galgenstricke; 14. und 19. November, 7. und 19. Dezember sowie 24. ]anuar im Podium 1 des Esslinger Schauspielhauses.

Quelle: Eßlinger Zeitung Samstag/Sonntag 21./22. September 2019

 


 

Gedanken wie an einer Perlenkette

WLB bringt Susanne Hinkelbeins „Waidmannsheil!“ bei den Galgenstricken auf die Bühne – Premiere am Donnerstag

Von Alexander Maier

Es gibt Projekte, die trägt man viele Jahre lang mit sich herum – immer in der Gewissheit, dass man sie irgendwie, irgendwo und irgendwann realisieren wird. Seit er 2004 die Uraufführung von Susanne Hinkelbeins kleiner Farce „Waidmannsheil!“ im Melchinger Theater Lindenhof gesehen hat, stand für den heutigen Esslinger WLB-Intendanten Friedrich Schirmer fest, dass er dieses „wunderbare Stück“ einmal auf die Bühne bringen möchte. Ebenso klar war für ihn, dass eine außergewöhnliche Vorlage eine besondere Inszenierung verdient. Die zündende Idee hatte Schirmer, als er zufällig den Galgenstricken Herbert Häfele und Erich Koslowski über den Weg lief: „Als ich die beiden traf, war für mich klar, dass sie die beiden traf, war für mich klar, dass sie die ideale Besetzung sind.“ Mit der Inszenierung betraute er einen alten Bekannten: den Regisseur Klaus-Dieter Köhler, den er seit gemeinsamen Tagen am Dortmunder Theater schätzt. Nach intensiver Probenarbeit hat „Waldmannsheil!“ an diesem Donnerstag im Kabarett der Galgenstricke Premiere – dort wird die Produktion zunächst laufen, ehe sie im November für fünf Abende ins Podium 1 der WLB wechselt.

Susanne Hinkelbein ist Komponistin, sie schreibt Bühnen- und Filmmusikern, Opern, Singspiele und musikalische Installationen. Sie ist Autorin, hat diverse Bühnenvorlagen geschrieben und als musikalische Leiterin des Tübinger Landestheaters Maßstäbe gesetzt. Und sie ist auch vielen Esslingern ein Begriff: Unvergessen ist ihre Esslinger Stadtoper, die sie 2007 fürs Kulturfest „Stadt im Fluss“ geschrieben hat und von der noch heute viele schwärmen. Eine schwarzhumorige, zuweilen bitterböse Seite zeigt Susanne Hinkelbein in „Waidmannsheil!“: Da sitzen an einem milden Herbstabend die Jäger Gustav und Rudolf (Erich Koslowski und Herbert Häfele) auf einem Hochsitz und warten auf eine kapitale Sau. Weil die jedoch partout nicht auftauchen will, müssen sie sich die Zeit vertreiben und beobachten das rege Treiben im Wald und am nahen Felsen: Die Kletterer, von denen einer halsbrecherisch am Seil baumelt, eine Hochzeitsgesellschaft, die sich auf ihrem Weg ins Gasthaus die Beine vertritt, und irgenwann sodar das Rösle aus Steinhofen und den Veit aus Kargenfeld – was die beiden wohl im Wald vorhaben … ? Manches ist schrecklich banal, anderes von überraschender (und eher zufälliger) Tiefgründigkeit: die eigenen verpassten Chancen, das Misstrauen in die Menschen, die Enttäuschungen des Lebens, Wut, die Angst, die Freude. Ein ganzes Sammelsurium von Gedanken – einfach so dahingesagt und vielleicht gerade deshalb so entlarvend. Und das Gewehr haben sie stets im Anschlag – gefährlich in Richtung Publikum gerichtet. „Ein Gedanke reiht sich wie in einer Perlenkette an den nächsten“, verrät Klaus-Dieter Köhler. „Und jede Perle ist wie eine kleine Etüde.“ Und das alles spielt sich auf engstem Raum ab – im Gewölbekeller der Galgenstricke mit seinen gerade mal 90 Plätzen – Koslowski und Häfele drängeln sich auf einem Hochsitz, den Birgit Eder auf den beschränkten Platz zugeschnitten hat.

Friedrich Schirmer ist überzeugt, dass Herbert Häfele und Erich Koslowski wie geschaffen sind für diese Rollen: „Die beiden machen seit 30 Jahren Kabarett. Das ist zwar etwas Anderes als Schauspielerei, aber sie haben für mich etwas von Volksschauspielern.“ Und dass sie´s können, haben sie bereits im Freilicht-Theater der WLB bewiesen. Spaß macht´s den Galgenstricken allemal: „Es ist schon etwas Besonderes, mit solch einer Produktion ins Theater einzutauchen“, sagt Herbert Häfele. Seinem Kollegen Koslowski hat´s vor allem „der abgründige, tiefe Humor des Stücks“ angetan. Dass WLB und Galgenstricke bei dieser Produktion zusammenarbeiten, ist für Friedrich Schirmer ein Glücksfall: Jeder bringt das ein, was er am besten kann.“

 

Vom 19. bis 21. September sowie am 27. und 28. September ist „Waidmannsheil!“ im Kabarett der Galgenstricke zu sehen. Im Podium 1 der WLB word die Ko-Produktion am 14. und 19. November, am 7. und 19. Dezember sowie am 24. Januar gezeigt.