Eine zauberhafte Liebe im Folterknast
Zwischen einem sensiblen, redseligen schwulen Schaufensterdekorateur und einem radikalen linken Revolutionär.
Dortmund. Schärfere Kontraste gibt es wohl nicht als die zwischen einer düsteren Gefängniszelle in Buenos Aires während der Militärdiktatur und der glitzernden Welt des melodramatischen Hollywood-Kinos.
Das Musical-Erfolgsduo John Kander und Fred Ebb haben aus diesem brisanten Stoff nach dem Roman „Der Kuss der Spinnenfrau“ von Manuel Puig das gleichnamige Musical gemacht und landeten damit einen Hit, der am Broadway sieben Tony Awards erhielt. Im Dortmunder Opernhaus erlebte es jetzt seine deutsche Erstaufführung, vom Publikum angerührt und amüsiert aufgenommen und mit viel Applaus quittiert.
Ein Filmfan und ein Revolutionär in derselben Zelle
Die beiden Gefangenen erleben Folter und Demütigung. Der weiche Molina, wegen Päderastie verurteilt, flüchtet aus der unerträglichen Realität, indem er seinem Zellengenossen Valentin, dem politischen Häftling, Filme erzählt – gefühlvolle, kitschige happy-end-Geschichten. Der Filmstar Aurora wird zur Leitfigur seiner Phantasien, die aber auch als Spinnenfrau Angst einjagt – ihr Kuss wird am Ende tödlich sein. Molina glaubt an das Ideal einer Liebe, die keine Forderungen stellt, sondern nur gibt. Valentin ist der Mitgefangene zunächst lästig. Er ist ein politischer Aktivist und verfolgt fanatisch seine Ideale. Die scheinbare Unvereinbarkeit ihrer Weltauffassungen löst sich mit der Zeit jedoch immer mehr auf. Aus offener Abneigung wird schließlich Freundschaft und sogar Liebe. Letztlich stirbt Molina für den Anderen.
Regisseur Klaus Dieter Köhler lässt den Kontrast des Stücks deutlich hervortreten. Er setzt der dunklen Gefängniszelle, dem brutalen Druck des Staatsapparates die erträumten glamourösen Show-Nummern mit Temperament und Glanz entgegen. Mit professionellen Tänzern der Musical-Szene, mit Gilda Rebello in verschiedenen Starrollen und als Spinnenfrau mit gefährlicher Ausstrahlung. Aus dem tristen „Käfig“ – in einer heruntergekommenen herrschaftlichen Villa angesiedelt (Bühnebild Wolf Wanninger, Kostüme Ruth Groß) – wird eine farben- und lichtprächtige Theaterbühne. Aufwendige Gesangs- und Tanznummern „erzählen“ aus den Filmen. Köhler lässt sich aber auch auf eine beklemmend intensive, bisweilen auch humorgewürzte Darstellung der beiden Hauptpersonen ein und ihr wachsendes gegenseitiges Verständnis.
Extreme Gegenüberstellung von Tragik und Kitsch
Hannes Brock ist eine Idealbesetzung für den Molina – er holt alle Facetten dieser Figur heraus: die Quasselstrippe, das Sensibelchen, das Erwachen der immer mehr sich aufdrängenden Liebe zu Valentin. Andreas Wolfram gibt den profilierten Gegenpol, seine Härte, unter der in sentimentalen Gesangsnummern doch auch Gefühle durchbrechen. Andreas Becker beeindruckt hier in einer Sprechrolle als Gefängnisaufseher, und Margareta Malevska bringt in einem schönen Lied ihre Mutterliebe zu Molina zum Ausdruck. Ralf Lange und die Dortmunder Philharmoniker sowie der Herrenchor nehmen sich des speziellen Sounds der Musik zwischen schlichten Einfällen, herben Klängen und rührseligen Schnulzen mit hohem Einsatz an – echte Ohrwürmer sind freilich nicht dabei. Man kann Bedenken haben gegenüber dieser extremen Gegenüberstellung von Tragik und Kitsch, gegenüber der Unbedenklichkeit, mit der das Musical über die harte Realität so glamourös hinwegspielt.
Letztlich aber zeigt das Stück Symbolkraft: es spricht vom Sieg der Liebe über Brutalität und Verrat, vom äußersten Opfer, das dem konkreten Mitmenschen gilt.
Quelle: WR, 25.01.2009, Sonja Müller-Eisold
Kuss der Spinnenfrau, Foto WR