Die Wahrheit

von Florian Zeller

Kammerspiele Wiesbaden

Premiere am 9. Dezember 2023

Ausstattung: Pia Oertel

Als „Ein Spiel von Lüge und Wahrheit“ könnte man Zellers Stück „Die Wahrheit“ bezeichnen. Für seinen verheirateten Protagonisten ist Wahrheit etwas mehr als Zweifelhaftes. Deshalb bevorzugt er die Lüge, denn sie sei eine Tugend, weil sie es erlaubt, das Leiden zu vermeiden, „Wenn die Leute von heute auf morgen aufhören würden, sich zu belügen, gäbe es kein einziges Paar mehr auf Erden. Und in gewisser Hinsicht wäre das das Ende der Zivilisation“ ist sein Credo.

Eine hinreißende, höchst raffiniert geschriebene Komödie mit einem geschliffenen, pointierten Dialog.

Bewundernswert, wie dramaturgisch durchtrieben Zeller mit immer neuen und überraschenden Wendungen und Volten die Handlung vorantreibt. Immer wenn man glaubt, die Wahrheit zu wissen, wird sie unvermittelt wieder auf den Kopf gestellt, sodass man bis zum überraschenden Schluss in Atem gehalten wird.

Besetzung & Stab

Auf der Bühne: Katharina von Harsdorf, Klaus Nicola Holderbaum, Judith Speckmaier & Steffen Happel
Regie: Klaus-Dieter Köhler
Assistenz: Jonas Milke
Bühne: Pia Oertel
Technik: Lenny Thiem

 


Kritik

„Die Wahrheit“: Amüsante Verwicklungen mit präzisem Timing

 

In den Kammerspielen Wiesbaden feierte nun Florian Zellers Komödie in einer Inszenierung von Klaus-Dieter Köhler Premiere.
Von Hendrik Jung

WIESBADEN. Ein Mann geht seinen Weg. So fühlt es sich zumindest für Michel an, den Protagonisten der Komödie „Die Wahrheit“, die aus der Feder des französischen Autors Florian Zeller stammt. Die Inszenierung von Klaus-Dieter Köhler ist die erste, die in den Kammerspielen Wiesbaden ihre Premiere feiert, seit Intendant Gregor Michael Schober den diesjährigen Kulturpreis der Landeshauptstadt Wiesbaden in Empfang nehmen konnte.

Dieses besonderen Anlasses ist die Aufführung denn auch mehr als würdig. Das Premierenpublikum jedenfalls stürzt im Laufe des Abends von einem Heiterkeitsausbruch in den nächsten. Grandios fährt etwa Klaus Nicola Holderbaum in der Rolle des Michel aus der Haut, wenn es sich um vermeintliche Ungerechtigkeiten dreht. Meistens ist er es dann zwar selbst, der sich ungerecht behandelt fühlt. Manchmal geht es aber auch um seinen besten Freund Paul, mit dessen Frau Alice der Protagonist gerade ein Verhältnis hat. „Wir sind beide verheiratet, besonders Du“, erklärt Michel seiner Geliebten in seiner ganz eigenen Sicht der Dinge.

Tatsächlich ist es nur Katharina von Harsdorf in der Rolle der Alice, die in der Affäre dazu in der Lage ist, über die Lust und die gegenseitige Zuneigung hinaus Gefühle zu zeigen. Die drei Nebenfiguren der geschliffenen Komödie begegnen sich aber nie direkt.
Obwohl sie stets in ihrer Beziehung zu Michel auftreten, entsteht zwischen ihnen an der Hauptfigur vorbei ein gut funktionierendes Netzwerk. Judith Speckmaier in der Rolle von Michels Ehefrau Laurence reagiert dennoch sehr lange heiter und gelassen auf die Ungereimtheiten und abstrusen Erklärungen ihres Mannes. Einer der Höhepunkte dabei ist, als Michel bei einem Schäferstündchen die Rolle der Tante seiner Geliebten übernehmen muss, da diese sich angeblich gerade bei der Dame zu Besuch befindet. Eine Darbietung, über die sich der aufgrund seiner Arbeitslosigkeit allseits bemitleidete Paul (Steffen Happel) später mit süffisanter Freude lächerlich macht.

Dass die Darbietung dieser Verwicklungen derart gut funktioniert, liegt an dem präzisen Timing, in dem die vier Darsteller mit Sprache, Gestik und Mimik miteinander agieren. Eine Leistung, die vor allem deshalb alles andere als selbstverständlich ist, weil der eigentliche Premierentermin verschoben werden musste und Holderbaum erst kurz zuvor in die Hauptrolle geschlüpft ist. „Das war schon besonders schwierig. Letzte Woche ist rund um die Uhr geprobt worden“, verdeutlicht Regisseur Köhler. Doch sein Hauptdarsteller habe selbst dann noch am Text weiter gearbeitet, wenn er ihm mal frei gegeben habe. Die Souffleuse, die bei der Premiere noch in der ersten Reihe sitzt, muss Holderbaum denn auch nur zweimal einen kurzen Anschub geben. Bemerkenswert zudem, dass auf der vergleichsweise kleinen Bühne der Kammerspiele, für deren Ausstattung hier Pia Oertel zuständig ist, mit relativ wenig Umbau gleich sechs verschiedene Handlungsorte in Szene gesetzt werden.

Für die fesselnde Dramaturgie ist Daniel Rademacher verantwortlich. Dazu kommt, dass in der Komödie nicht nur mit Running Gags gearbeitet wird, sondern ähnliche Situationen durchaus auch mit einer veränderten oder umgekehrten Ausgangslage geschildert werden, was das Amüsement noch mal deutlich steigert. Dies ist einer erstklassigen Leistung des Ensembles zu verdanken, das bei der Premiere denn auch minutenlang gefeiert wird.


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