CASINO-TOTALE – Das 19. Jahrhundert
Noch immer irrt der junge Mann, den alle mit dem Hochstapler Felix Krull verwechseln, auf der Suche nach dem berühmten Wiesbadener Spielcasino durch die Gänge der Casino-Gesellschaft und die Zeiten. Doch diesmal hat er sich im 19. Jahrhundert verirrt, wird Gründungsmitglied der Casino-Gesellschaft, trifft u.a auf die illustren Gäste der Stadt Goethe, Richard Wagner und Kaiserin Sissy, landet unversehens mitten in Dostojewskis berühmten Roman „Der Spieler“, gerät in die Wirren der Schlacht von Waterloo und die Revolution von 1848, erlebt die Schließung des Casinos durch die Preußen und trinkt schließlich sogar ein Glas Sekt mit Johann Jakob Söhnlein.
Auf seiner Irrfahrt begegnet er zahlreichen Wiesbadener Originalen aus diesen Jahren und steht am Ende sogar einem waschechten Kaiser gegenüber. Dabei erklingt wieder ein Strauß bunter.
WEITERE VORSTELLUNGEN von Teil 1 und Teil 2 im Februar 2020 (Wichtig: leider abgesagt!)
Regie: Klaus-Dieter Köhler
Ausstattung: Franziska Harbort
Kritik
Goethe, Sissi und die City-Bahn
Das Kleine Revuetheater zeigt bei der Casino-Gesellschaft die zweite Stadtrevue „Von Waterloo bis Wilhelm Zwo“
Von Julia Anderton
WIESBADEN. Zeitreisen in Büchern oder Filmen führen ja gewöhnlich in spektakuläre Szenarien wie die Ritterzeit. Den jungen Berliner Touristen allerdings verschlägt es im zweiten Teil von „Casino Totale – Die ultimative Stadtrevue“ des Kleinen Revuetheaters dank eines Hypnosetricks ins Wiesbaden des 19. Jahrhunderts. Doch dass es da langweilig oder allzu gediegen zuging, kann man wahrlich nicht behaupten, wie die Premiere von „Von Waterloo bis Wilhelm Zwo“ im Herzog-Friedrich-August-Saal der Casino-Gesellschaft bewies: Politisch stehen hier die Befreiungskriege zum Sturz Napoleons insbesondere unter dem preußischen Generalfeldmarschall Gebhardt Leberecht von Blücher (nach dem die Wiesbadener Grundschule im Westend benannt ist) und die deutsche Revolution 1848 zur Bildung eines freiheitlichen deutschen Nationalstaats im Fokus, ergänzt durch mehr oder weniger fiktive Liebesirrungen und Wirrungen illustrer Wiesbaden-Besucher und Einheimischer. Da handelt Geheimrat Goethe (immerhin hat er Wiesbaden ein Museum verschafft) mit Winzertochter Maria aus Johannisberg an und kreiert im Geplänkel nebenbei den Kennenlern-Dialog von Gretchen und Faust. Alexej Iwanowitsch und Polina Alexandrowa setzen als Romanfiguren aus Dostojewskis „Der Spieler“ Geld und Liebe in den Sand, während Frau Dr. Lerchenberg und Prof. Dr. Dr. Hacke-Peterthal als Vertreter der lokalen Schickeria in einem Loriot-würdigen Gebaren den gemeinsamen Verzehr eines Ananastörtchens als erotischen Gipfel planen und Kaiserin Sissi im Reiterdress (,,So jung bin ich auch nicht, sonst müsste ich ja nicht nach Wiesbaden zur Kur“) mit Kaiser Wilhelm II. tanzt. Ein großes Stelldichein neben Bauherren und Blaublütern gibt sich die Komponisten-Riege von Franz Abt über Johannes Brahms bis Bill Ramsey, dessen WumbaTumba-Schokoladeneisverkäufer wiederum eine launige Brücke zu Carl Remigius Fresenius schafft, dem Spionin Mata Hari die fiktive Konstruktion einer Eismaschine abluchsen will. Was im vergangenen Jahr im ersten Teil der Stadtrevue noch einer losen Nummernrevue populärer Schlager glich, punktete diesmal mit einem klaren lokalhistorischen Faden inklusive moderner Anspielungen auf „Filzbaden“ und die City-Bahn, ohne bei der Unterhaltung Abstriche zu machen. Um alle Anspielungen zu verstehen, muss man schon ein bisschen firm in Stadtgeschichte und Kultur sein, was die Inszenierung von Klaus-Dieter Köhler auf ein ergötzlich anspruchsvolleres Niveau als das Vorgänger-Stück hebt. Personell setzt der Regisseur auf sein bewährtes Team: Pascal Fey gibt einmal mehr den sympathisch unbedarften Jungen aus der Hauptstadt; die erst zwölfjährige Fabienne Köhler unterstützt in Mädchenrollen. Sabine Gramenz überzeugt sowohl gesanglich (sogar rollenbedingt lispelnd!) als auch darstellerisch, während Klaus Brantzen seine enorme Wandlungsfähigkeit mit charismatischer Bühnenpräsenz kombiniert. Die Entscheidung, Pianist Malte Kühn vom Klavier zu locken und ihn mit der Darstellung Richard Wagners im roten Hausmantel zu betrauen, der seiner Mainzer Muse sächsisch intonierte Alliterationen zuraunt, während er in Biebrich an den ,,Meistersingern von Nürnberg“ arbeitet, gliedert sich bestens ein ins Gesamtgefüge in authentischer Ausstattung (Franziska Harbort), das mit aparten Melodien aus Operetten, Schlagern und so manchem Popsong garniert wurde.
Quelle: Wiesbadener Kurier
Beitragsbild: Volker Watschounek (Sabine Gramenz als Winzertochter Maria und Klaus Brantzen als Nassauer Soldat in „Casino Totale“)
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