• Rilke on the Rocks

eine Jugendstil-Revue von Klaus-Dieter Köhler

Eine arbeitslose sehr von sich eingenommene Kunsthistorikerin namens Matthilde und Hugo , ein ehemaliger Buffo und Theaterschauspieler, der mit Vorliebe Maurice Maeterlinck und Rilke rezitiert und ständig Schlager trällert, brechen in eine Wiesbadener Villa ein, um dort wertvolle Kunstgegenstände aus der Zeit des Jugendstils zu stehlen. Dabei versuchen die Beiden sich gegenseitig mit ihren Kenntnissen zu übertrumpfen und musikalisch zu brillieren. Mathilde, die ehemals in einer Hiphop Band gesungen hat, scheint dabei, eine ganz bestimmte Beute im Auge zu haben. Hugo hingegen interessiert sich mehr für seine Partnerin als das Diebesgut und macht ihr musikalisch den Hof. Nach einem turbulenten 1. Akt, in dem sie alles andere als wertvolle Sachen finden, und wir neben Gedichten Rilkes und anderer Jugendstil-Dichter Léhars lustige Witwe auf dem Berliner Überbrettl, die verführerische Salomé in all ihren Facetten, den berühmten Schleiertanz der Jugendstil-Tänzerin Lou Fuller, und Rilkes „weißen“ Schwan einmal ganz anders erleben dürfen, wird plötzlich der Alarm ausgelöst.

Es kommt, wie es kommen muss. Mathilde und Hugo landen im Gefängnis. Um ihren Mitgefangenen den Jugendstil näher zu bringen, schlüpfen sie in diverse Rollen der Zeitgeschichte und Figuren aus bekannten Theaterstücken. Dabei führen die beiden Protagonisten ihre Zuschauer mit viel Wortwitz und Musik in die Welt der Wiener Sezession von Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal und Frank Wedekind, in das victorianische London von Oscar Wilde sowie der Komponisten Gilbert und Sullivan, im Italo Hit Rhythmus zusammen mit Otto Julius Bierbaum am Steuer eines Oldtimers zum „Floreale“ nach Italien, sie begegnen Woody Allen und dem Modernisme in Barcelona und reisen natürlich zum Art Nouveau nach Frankreich in das Jahr 1900, wo sie u.a. Rilkes singendem Dichter Malte Laurids Brigge, der Künstler-Familie von Emile Gallé in den Zeiten der Dreyfuss-Affaire und schliesslich der großen Schauspielerin Sara Bernhardt begegnen. Aber wer ist denn nun der unbekannte Auftrageber, der all das eingefädelt hat und was wollte Mathilde im Keller der Villa wirklich finden? So gibt es Ende noch eine große Überraschung, rechtzeitig vor dem Grand Finale und Hugo kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er bekommt sein Happy End. Allerdings ein bisschen anders als er sich das vorgestellt hat. Agatha Christie lässt grüßen.

Fotos: Christof Mattes

 


Kritik

Rilke on the Rock”-Premiere in den Wiesbadener Kammerspielen
Einen rockigen Rilke bringen die Wiesbadener Kammerspiele auf die Bühne. Die Premiere war ausverkauft.

Von Viola Bolduan

WIESBADEN – Die parodierend lang referierte Wäscheliste ist viel zu kurz verglichen mit der, auf der die Namen von Musikern, Malern, Architekten, Literaten, Theatern und Orten stehen, die in der rasanten Show zum Jugendstil abgehandelt werden.Aufgefrischt und durchgewirbelt„Rilke on the Rocks” heißt die Revue, und der Rainer Maria kommt natürlich auch vor – mit seinen berühmten Tieren, „Panther” und „Schwan” – freilich aufgefrischt, verquirlt und durchgewirbelt in einem elastischen Handlungsschwung aus dem musikalischen Geist ihres Regisseurs Klaus Dieter Köhler. Samstagabend hatte dieser rockige Rilke ausverkaufte Premiere in den Kammerspielen.Zwei Taschenlampen geistern mit Theresa Berlage und Gregor Eckert über die Bühne auf der Suche nach einem wertvollen Gegenstand aus abhandengekommenen Jugendstil. Die Villa steht selbstverständlich in Wiesbaden, der Stadt der „Jugendstil”-Ausstellung, und wird im zweiten Akt zu einem komfortablen Knast, in dem hervorragend Theater gespielt werden kann. Gelegenheit, Oscar Wildes Salonstück „Bunbury” mit edlem Kostüm und in Oxbridge-Englisch mit Butler-Motiv aus „Dinner for one” zu durchkreuzen, oder Rilkes Romanfigur Malte Laurids Brigge auf Theo Mackebens „Bel Ami” einzustimmen.

Nach einem heftig geschüttelten Cocktail aus Nena-Schlager, Zolas „J’accuse”, Gallé-Vase, Berliner Überbrettl und Jacques Offenbach in Bad Ems bleibt nur die Flucht in den sangeslustigen Seufzer „Scheiß Jugendstil”. Gregor Eckert hat dafür einen sehr beweglichen warmen Bariton (von wegen Operetten-Buffo) und Theresa Berlage bewundernswert klare Aussprache im kleinen, feinen Mezzo. Sie bringt schauspielerische Grazie in die Aufführung, er erdet mit stimmlicher Flexibilität.Überbordender EinfallsreichtumUnermüdlich verlässlich am Piano: Uli Bareiss, verantwortlich mit Claus Weyrauther für die musikalische Einstudierung. Und zwar von Operette bis Falco, Richard Strauss’ „Salomé” inklusive Schleiertanz durchkreuzt mit Robert Stolz „schönster Blume des Morgenlands”, da ja in dieser Revue Darmstadts Mathildenhöhe ohnehin den „Matilda”-Calypso erfunden hat. Das Publikum bindend sich singend ein. Manch’ andere virtuose, vergnügliche, witzige Zusammenstellung aus allen Sparten eines internationalen Jugendstil-Repertoires mag unerkannt im flotten Show-Tempo verwischen – Klaus Dieter Köhlers Einfallsreichtum jedenfalls ist überbordend: Gustav Klimts „Der Kuss” ist darstellbar, und Adamo heißt der musikalische Link zum Bühnenstück des Belgiers Maeterlinck „Pelléas et Mélisande”. Zu Beginn wird es zitiert – am Ende einer fast kriminell schrägen „Rilke-on-the-Rocks”-Revue teilen drei Jugendstil-Größen, Arthur Schnitzler, Oscar Straus und Rainer Maria, noch einmal etwas miteinander. Was? Müsste schon selbst erlebt werden. Es könnte stimmen, wie der laute Jubel nach der Premiere.

Quelle: Wiesbadener Kurier

 


 

Galerie