• Klaus-Dieter Köhler Theaterregisseur Traum und Visionen

Eine Poduktion des KARTENHAUSENSEMBLE

Eine Szenen-Collage von Halvor Boller nach Texten aus „Traum eines lächerlichen Menschen“ von Dostojewski (1877), „Ottomars Begräbnis“ aus Unsichtbare Loge von Jean Paul (1792) und „Vril“ von E. Bulwer-Lytton (1871).

Uraufführung am 15. Oktober 2019 auf dem Mono Bene Festival, Klagenfurt

„Traum und Visionen“ gastiert am 31. Januar 2020 in Reutlingen am Theater in der Tonne anlässlich des Festivals „Monospektakel X“ um 20.00 Uhr.

 


 

Kritik

Läuterung eines Verzweifelten

Von Armin Knauer

REUTLINGEN. Puh, da hat das Mono­spektakel aber noch mal schwere Kost aufgetischt am Freitagabend in der Tonne, ehe es am Samstag und Sonntag auf die Zielgerade des Festivals ging. Keine Gerin­geren als Dostojewski und Jean Paul hat Regisseur Klaus-Dieter Köhler fürs Kar­tenhausensemble Hohenstein in das Stück »Traum & Visionen« gepackt, ergänzt durch den nicht weniger sperri­gen Briten Edward Bulwer-Lytton. Ein herber Ritt durch die Geisteslandschaft des 19. Jahrhunderts war das beim Solo­theaterwettbewerb in kleinen Saal des Tonne-Neubaus. Immerhin vom einzigen Darsteller Halvor Boller mit enormer Energie und geschickt eingesetzten, sehr puristischen Theatermitteln umgesetzt. Boller sitzt zu Beginn im Publikum, als wäre er Zuschauer, ist scheinbar über­rascht, dass er auftreten soll. Er ver­schwindet kurz, erscheint wieder, mit einem Bollerwagen samt Kiste drauf. Die Kleider hat er auf links gedreht an, Bild einer für den Protagonisten gefühlt ver­kehrten Welt. Gleich fällt auch noch der Bollerwagen auseinander, Symbol eines Lebens, das in Scherben liegt. Denn es geht nach Dostojewskis Erzählung »Der Traum eines lächerlichen Menschen« um einen, der sich selbst wertlos fühlt und so auch seiner Umwelt keinerlei Sinn abgewinnen kann. Er kauft sich einen Revolver, um sich ein Ende zu setzen – doch ehe er seinen Plan verwirk­lichen kann, fällt er in einen Traum. Dostojewskis Version von der Traumfahrt auf eine zweite, bessere Erde ersetzt das Stück nun durch eine Alptraumvision des Frühromantikers Jean Paul. Einem damals populären Topos folgend geht es darin um einen Mann, der lebendig begra­ben wird. Äußerst effektvoll spielt Boller das im nachtdunklen Saal, gespenstisch nur von unten beleuchtet aus seinem »Sarg« heraus, sprich der Kiste, in die er sich gesetzt hat. Zwar überlebt der Mann, da er Vorsorge traf, dass Sarg wie Fami­liengruft geöffnet blieben; doch als er zurückkehrt, vermag er in den Lebenden nur noch deren Sterblichkeit zu sehen.

Warum der Protagonist von hier aus in eine pessimistische Gesellschaftsanalyse des Briten Bulwer-Lytton abdriftet, bleibt rätselhaft. Nicht weniger rätselhaft, war­um er, aus derart morbiden Träumen erwacht, sich im Besitz einer letztgültigen Wahrheit wähnt, deren Verkündigung ihm nun Ziel und Bestimmung ist. Bevor das Publikum sich darüber Gedanken machen kann, wird es vom frisch geba­ckenen »Verkündiger« in ein »Abend­mahl« mit Brot und Wein verwickelt. Ach ja, auch das verbindende Teil für den auseinandergefallenen Wagen findet sich plötzlich. Interessant, intensiv – aber mit dem Dauerpathos, in dem Boiler das vortrug, auch etwas anstrengend. Und vielleicht gar zu viel der allzu plakativen Symbolik inmitten dieses Dauerfeuers an düster-philosophischen Sätzen. (GEA)

Quelle: Reutlinger General-Anzeiger
Foto: PR

 


 

 

Mit skurrilem Stück zum Wörthersee

Von Anja Baumgart-Pietsch

STRINZ MARGARETHÄ. Halvor Boilers neues Ein-Mann-Stück wird dieses Mal in Klagenfun zur Premiere kommen. Dort findet alle zwei Jahre ein Theaterfestival statt: „Mono Bene“ be­deutet, es kommen nur Ein-Per­sonen-Stücke zur Aufführung, ohne Musik, Tanz, Technik und mit möglichst minimalen Requi­siten. Veranstalter ist der „Verein zur Anregung des dramati­schen Appetits“. An sechs unkonventionellen Orten, da­ runter einem ehemaligen Ju­gendstil-Pissoir-Häuschen, das zur „kleinsten Bühne der Welt“ mit zehn Zuschauerplätzen um­gebaut wurde, werden die Stü­cke gezeigt. Schon 2017 war Boller in Klagenfurt zu Gast. Auch dieses Jahr ist er wieder eingeladen worden und hat dafür in Zusammenarbeit mit Re­gisseur Klaus-Dieter Köhler eine neue Textcollage „Traum und Visionen“ verfasst.

Einstündiger Monolog mit Orgel in der Kirche

Damit auch das Publikum in Strinz-Margarethä, wo Halvor Boller die Stücke seines „Kar­tenhausensembles“ sonst in der heimischen Scheune aufführt, in den Genuss von „Traum und Visionen“ kam, organisieren Boller und Köhler eine „öffent­liche Generalprobe“ in der evan­gelischen Kirche. Ein Kirchen­raum ist wie geschaffen für den gut einstündigen Monolog, den Halvor Boller aus Texten dreier Autoren zusammengestellt hat. Denn es geht um Leben und Tod, um Grenzen und Sinn des Lebens, Verzweiflung und Hoffnung. Dostojewskis „Traum eines lächerlichen Menschen“. Jean Pauls „Die Unsichtbare Lo­ge“ und Edward Bulwer-Lyttons „The coming Race“ sind die drei Werke, aus denen Halvor Boller geschickt Texte kombiniert hat. Als „lächerlicher Mensch“ rollt der Schauspieler zu Anfang einen Holzwagen hinein, trägt seine Kleidung „auf links gedreht“ und wirkt daher schon optisch grotesk. Auch was dieser Protagonist hin- und hersiniert, über seinen geplanten Selbstmord, den er doch nicht verwirklichen kann, ist grotesk. Der Wagen zerbricht, die Kiste, die darauf steht, schleppt Boller vor die Altarstufen. Sie wird ihm später als Sarg dienen, in dem er als Jean-Paul-Figur „Ottomar“ lebendig begraben ist, doch wieder erwacht. Gespens­tisch wirkt das nur durch eine kleine Leuchte in der Kiste be­schienene Gesicht.

Zum Stück in der Kirche ertönt auch die Orgel: Hier musiziert die Strinzer Organistin Gisela Diefenbach, die sich im Anschluss vollkommen begeistert von dem für sie äußerst ungewöhnlichen Einsatz zeigt. Der Schauspieler erklimmt die Or­gelempore, singt „Geh aus, mein Herz und suche Freud“. Doch schnell geht es wieder in den Abgrund, mit Texten aus Bulwer-Lyttons merkwürdigen Science-Fiction-Roman mit poli­tisch-utopischen Satiregedanken. Aber endlich bringt Halvor Boller sein Wägelchen wieder zum Rollen (auch wenn es ganz zum Schluss wieder außerplan­mäßig zerschellt) und beendet den Abend voller eigenartiger Denkanstöße nicht nur mit einem „Abendmahl“ der beson­deren Art, sondern mit einer letztlich positiven Note. „Ich spiele das gerne auch in ande­ren Kirchen, man kann mich da gerne kontaktieren“, sagt der Schauspieler. Doch jetzt geht es erst einmal nach Kärnten zum „Mono Bene“.

 


 

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