Boulevard Münster zeigt „Der letzte der feurigen Liebhaber“

Von Gerhard H. Kock

MÜNSTER. Buddhisten nennen Gedanken, die wild durch die Synapsen tapsen: Affengeist. Aber auch für nicht Meditierende gilt: Wer eine Schnapsidee hat, macht sich zum Affen. Vor allem alte weiße Männer scheinen zu speziellen Sprüngen zu neigen – Seitensprüngen. Das Boulevard Münster öffnet nach der Zwangspause durch die Corona-Pandemie sein Haus mit einer solchen Komödie „Der letzte der feurigen Liebhaber“.

Und er heißt Barney Cashman. Ein älterer Mann in den besten Jahren, dessen erotische Erfahrungen sich ausschließlich auf seine 23-jährige Ehe mit seiner Highschool-Freundin Helma beschränken. Jetzt möchte der Familienvater und Besitzer eines Fischrestaurants in New York endlich seinen Horizont erweitern: einmal im Leben etwas Aufregendes erleben. In drei Episoden erleben die Zuschauer mit, was Barney bei seinen Frauen-Abenteuern erlebt.

Klaus-Dieter Köhler inszeniert das „charmante Stück“ für das Theater in der Königspassage. Eric Haug spielt den sehnsüchtigen Schwerenöter, Franziska Bienek darf sämtliche Frauenrollen verkörpern. Das Stück spielt original in den 60er Jahren.

„Wir haben uns allerdings eine Woche vor Probebeginn entschieden, dass wir es in der Jetzt-Zeit spielen“, erzählt Köhler. Stichwort: Corona. Schließlich darf es nicht zu körperlichen Leidenschaftsausbrüchen kommen. Nicht mal zum Kuss.

Der erste Akt wird zu Weihnachten 2019, der zweite im Juni 2020 und der dritte Akt im Oktober 2020 spielen. Der Regisseur will das Stück so inszenieren, „dass der Zuschauer dem Hauptdarsteller zugeneigt ist“. Da die Liebesständeleien in Manhattan spielten, werde auch der Stadtneurotiker Woody Allen aufblitzen. „Der kriegt charmant einen mit“, verspricht Köhler: „Das Stück hat eine gewisse Tiefe.“ Und der Regisseur verspricht in dieser „sophisticated comedy“ ein „schönes Ende“.

Die Premiere ist am Freitag, 12. Juni um 20:00 Uhr, weitere Vorstellungen bis zum 18. Juli sowie vom 15. August bis zum 21. September im Boulevard, Königspassage.

Quelle: Westfälische Nachrichten, 12. Juni 2020
Komödie von Neil Simon

Foto: Ian Panelo, Pexels

 


 

Kritik

Der „Liebhaber“ ist auch nur ein Mensch

MÜNSTER. Corona ist noch nicht vorbei. Aber das Boulevard Münster ist zurück: mit einer sowohl amüsanten als auch anrührenden Komödie.

Von Gerhard H. Kock

Munteres Gemurmel. Die freundliche Servicekraft eilt durch die Reihen und serviert Belebendes von Bitter Lemon bis Weißwein. Der Barkeeper löscht die fünf Kandelaber-Kerzen. Es wird dunkel. Der Vorhang öffnet sich. Es wird still.

Bis vor drei Monaten war das allabendliches Theater-Ritual. Dann kam Corona. Mit Masken und Abstand und Krampf. An diesem Wochenende öffnete sich endlich der Vorhang im Boulevard Münster wieder inmitten einer mit Vernunft bislang in Grenzen gehaltenen Pandemie. Raum für Lachen, Momente, locker zu werden, sogar ein bisschen Platz für Weisheit. Mit „Der letzte der feurigen Liebhaber“ steht ein Stück auf der Spielplan, das zwar die Ironie im Schlepptau hat, aber charmant Schwächen des reifen Mannes als Rahmen für amüsante Lehrstunden nutzt.

Barney Cashman ist jetzt Mitte vierzig, solide, lebt monogam und fragt sich: „Soll das alles gewesen sein?“ Der Mann sinnt auf erotische Abenteuer und startet drei Versuche. Heimlich. In der Wohnung seiner Mutter. Was eigentlich schon alles sagt …

Elke Ober hat für das unpassende Liebesnest ein gediegenes Blümchen-Ambiente geschaffen, in dem Barney nun geplant, zufällig und als Angebot zu je einem Stelldichein kommt. Eric Haug spielt den Verzweiflungs-„Don Giovanni“ anrührend komisch als tapsigen Teddy-Bär, der doch nur spielen will, aber immerhin einmal laut wird, dass die Kroko-Tasche fliegt. Für diese Manneskraft gibt es Zwischenapplaus: für Barney und für Eric.

Zwischenapplaus gleich mehrfach erhält Franziska Bienek. Ihre drei Rollen sind allerdings auch ungleich dankbarer: Als Kundin Elaine Navazio will sie den Chef des Fisch-Restaurants vernaschen, der eigentlich sie vernaschen wollte. Die beiden kommen nicht auf die romantische Spur. Da leidet der Zuschauer schon mal mit. Nummer zwei ist die Zufallsbekanntschaft Bobbi Michele, die als herrlich durchgeknallte Schauspielerin Cashman wie einen Psychoanalytiker zutextet und Mamas Wohnung mit Joints durchräuchert. Jeanette schließlich hatte Barney Avancen gemacht, sogar mit Majo-Flecken. Doch die Frau seines besten Freundes Mel ist derart auf den schwarzen Hund gekommen, Düsternis ist Sonnenschein dagegen. Nur 8,2 Prozent ihres 39-jährigen Lebens hat sie genossen und nimmt Barney ins Kreuzverhör über das Leben und seine Werte. Der Arme hat’s nicht leicht, dafür das Publikum sein Vergnügen. Franziska Bienek spielt die drei Frauen abwechslungsreich mal bissig, mal schnodderig, mal herausfordernd ernst. Der Humor lebt von den vielen witzigen Dialogen, von Worten, die die beiden sich schlagfertig um die Ohren hauen.

Das Stück vom Broadway-Meister Neil Simon ist über 50 Jahre alt und funktioniert trotzdem wie eh und je. Warum? Weil die menschliche Natur gleich geblieben ist. Und die bleibt in der Inszenierung von Regisseur Klaus-Dieter Köhler bei aller Komik sympathisch sichtbar.

Nur eins zum Schluss: Barneys Mutter muss eine äußert lebenskluge und nachsichtige Frau sein. Dass die nichts von Joints, Schampus und Desinfektionsmitteln gemerkt hat?

Quelle: Westfälische Nachrichten