Würtembergische Landesbühne Esslingen


Songdrama von Eric Gedeon

Ausstattung: Esther Bätschmann
Musikalische Leitung: Oliver Krämer

Premiere 9. Dezember 2022

Wir schreiben das Jahr 2050. Längst ist das Theater geschlossen und dient einer Handvoll greiser Schauspieler als Altersresidenz. Abends sitzen sie auf der Bühne zusammen und durchleben noch einmal ihre früheren Erfolge. Es könnte alles so schön sein, wäre da nicht Schwester Angelika, die ihre Schützlinge nicht nur mit Kinderliedern zum Mitklatschen malträtiert, sondern ihnen auch durch ihre musikalischen Vorträge über Krankheit, Alter und Tod die ganze Stimmung versaut. Doch kaum dreht sie ihnen den Rücken, regt sich bei den Bühnenstars die Lebensgier. Von „I Love Rock’n’Roll“ bis „I Will Survive“ zeigt sich: Der alte Kampfgeist ist noch nicht erloschen, nur etwas eingeschränkt durch morsche Knochen und falsche Gebisse …

 

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Kritik

Unsere Leichen leben noch

Musik macht müde Mimen munter, sogar im Altersheim: Klaus-Dieter Köhler hat Erik Gedeons Songdrama „Ewig jung“ an der Württembergischen Landesbühne in Esslingen (WLB) inszeniert – als geschlossene Gesellschaft beim Endspiel in der Requisite. Esslingen. Der WLB-Intendant Friedrich Schirmer ist tot. Der WLB-Intendant Marcus Grube ist tot. Der WLB-Schauspieler Martin Theuer steht als Asche in der Urne auf dem Klavier. Wir alle sind übrigens auch tot, sogar der Regisseur Klaus-Dieter Köhler, der das Ganze inszeniert hat. Denn die Show must natürlich go on. Und deshalb ist es sehr lustig, dass wir alle tot sind. Galgenhumor eben, gewürzt aus dem makabren Pfefferstreuer. It’s one way to go, wie der Schwabe sagt. Aber darum, geben wir es ruhig zu, bläst einen schon auch ein bisschen Vergänglichkeitsgruselhauch von der Bühne herab an; vergleichbar dem, was früher Memento mori hieß und ein kleiner Beinerkarle war, den man aus der Tasche ziehen konnte, sobald es einem zu wohl wurde.

Im Esslinger Schauspielhaus ist Reinhold Ohngemach dieser Beinerkarle, auch wenn er nicht so aussieht: „Wir sind die Letzten“, sagt er, im wirklichen Leben mit seinen 78 Jahren der Senior des Ensembles, auf der Bühne als weit über 90-jähriger Herr Ohngemach ironischerweise der rüstigste unter den letzten Mimen-Mohikanern auf ihren allerletzten Lebensmetern. Ja, wo sind wir denn hier – mit Klarnamen, Tod und Pflegeschwester Bettina (Bettina Franke), der man auch auf der Intensivstation nicht in die Hände fallen möchte? Wir sind in einer nicht allzu ferner Zukunft, in der mit dem Großteil ihres künstlerischen und sonstigen Personals auch die Württembergische Landesbühne Esslingen dahingeschieden ist; genauer: ihr Theaterbetrieb. Denn jetzt dient sie als Pflegeheim für den kleinen noch lebenden Rest der Truppe. Und der fühlt sich mindestens so ewig jung wie moribund – sofern die Basiliskenblicke der gestrengen Schwester Bettina gerade anderswohin schweifen. „Ewig jung“ heißt denn auch die für Esslinger Verhältnisse zugeschnittene Schote, die Erik Gedeon ursprünglich fürs Hamburger Thalia-Theater uraufgeführt hat. Ein Songdrama – Betonung auf Song. Von Drama und was dazugehört – Dialogwitz, Entwicklungen, Konflikte – gibt es wenig. Macht aber nichts, denn das lockere szenische Arrangement ist nicht nur der Passierschein für allerlei Liedgut von „I love Rock ’n’ Roll“ über „Born to be wild“ bis „Sex Bomb“ und was man eben sonst so im Altersheim hört. Zusätzlich trifft die Dürftigkeit von Plot und Sprache bestens die realabsurde Situation dieser geschlossenen Gesellschaft beim Endspiel in der Requisite, wo Bühnenbildnerin Esther Bätschmann Plüsch und Plunder aus glorreicher Theatervergangenheit versammelt, von der Galerie toter WLB-Intendanten bis zum „Sturm“-Schiffbruch. Und irgendwie sind die greisen Helden des Abends immer noch der Stoff, aus dem die Träume sind, zumindest die eigenen. Auch wenn Ambrogio Vinella als Herr Vinella seine Flatulenzen nicht mehr halten kann, sonst aber kaum noch etwas sagt. Anders als Kristin Göpfert, die als Frau Göpfert mit Tourette-Schwertgosch jede und alles zur „Fotze“ erklärt und mit gleicher Vehemenz die Tage der Rebellion Revue passieren lässt – damals, beim G-20-Gipfel in Hamburg oder beim Anti-Braunkohle-Protest, als man vom Baumhaus herab „die Bullen bepisst“ und hemmungslos „gevögelt“ hat. Jaja, der Sex: Felix Jeiter als Herr Jeiter bringt’s nur noch zu einer obszönen Eichendorff-Parodie und – beim Seniorentanz – immerhin zu den Händen auf dem Hintern von Frau Göpfert. Mit weinrotem Jackett, Goldrandbrille und Silberstöckchen geht’s auf in den Kampf um ein bisschen Rest-Eleganz. Und Sabine Bräuning als Frau Bräuning gibt immer noch die große Diva mit Rampensau-Schlagseite; nur dass da, wo das Publikum ist, im Stück eben keines mehr ist. So entwickeln Regisseur Köhler und das Ensemble wunderbar präzise, hochnotkomische und zugleich wahrhaft bittere Porträtstudien von Künstlern als alte Menschen. Alles Weitere ist – quasi in Fortsetzung von Rosa von Praunheims Film – ein Beitrag zum Thema „Unsere Leichen leben noch“; eine starke Hymne an die Vitalität nach dem Motto: Musik macht müde Mimen munter. Und diese Musik wird mit einer Inbrunst, einer Power und Perfektion über die Rampe gefetzt, als wären Lady Macbeth und Richard III. schon immer Lady Cover und König Karaoke gewesen. Leider hat der musikalische Leiter Herr Krämer (Oliver Krämer) einen schweren Schlaganfall erlitten, verständlich reden kann er nicht mehr, aber Klavier spielen umso mehr. Da steuert dann auch Schwester Bettina ihr Parzenlied bei, eine barocke Aria vom Sterben und Verrecken. Die barmherzige Schwester ist halt die mit der Schere am Lebensfaden. Was soll’s, das Spiel ist trotzdem noch nicht aus. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann spielen sie noch weiter. Ewig jung, Württembergische Landesbühne Esslingen.

Weitere Vorstellungen am 16., 18. und 31. Dezember sowie 29. Januar und 18., 22., und 25. Februar.


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